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Das kalte Lächeln des Meeres

Der sizilianische Erzähler Andrea Camilleri steht im Ruf, die Stimme Siziliens in der italienischen, in der europäischen Literatur von heute zu sein. Dieser Ruf wird durch seinen neuen Roman "Das kalte Lächeln des Meeres" auf beklemmende Weise bekräftigt.

Was er über die Seele der Sizilianer zu sagen hat, kleidet der 79-Jährige - darin seinem Landsmann Pirandello nicht unähnlich - in Alltagsgeschichten von einfachen Leuten. Von städtischen Angestellten, Bauern oder Fischern, von ein paar Vertretern der offiziellen und der inoffiziellen Oberschicht.

Welche Pastiches auch immer er dabei tupft, welche bezaubernden Sittengemälde er in seinen historischen Romanen oder Kriminalgeschichten entwirft: Stets ist das "Paradies der kleinen Sünder" (so heißt ein Erzählungsband) das ebenso fiktive wie typisch sizilianische Städtchen Vigàta, und stets durchzieht ein wärmender Wind mediterraner Unbeschwertheit das Geschehen. In seinem neuem Roman aber macht dieser Wind plötzlich frösteln.

Commissario Montalbano will aussteigen, die Brocken hinwerfen, weil er angewidert ist von einer außer Kontrolle geratenden Globalisierung, von der Migrationspolitik der europäischen Staaten im allgemeinen und der italienischen (Berlusconi-)Regierung im besonderen, weil er nicht länger Spielball obskurer Interessen sein will. Als Montalbano im Hafen spontan einem afrikanischen Flüchtlingskind zu helfen versucht, erweist sich das als fataler Fehler. Unvermittelt sieht sich er sich mit einem internationalen Menschenhandel konfrontiert, dessen Dimension kaum zu ermessen ist.

Der brisante Roman, vielleicht Camilleris bester, enstand 2003. Im Juli 2004 erlebte die Welt das Flüchtlingsdrama um die Kap Anamur.





Last modified Saturday, July, 16, 2011