home page





Das Spiel des Patriarchen

VENEDIG/VIGATA Sie kennen sich nicht und es ist fraglich, ob sie sich mögen würden. Sie sind Kollegen, beiden in Italien zu Hause und könnten unterschiedlicher nicht sein. Eines aber verbindet Commissario Guido Brunetti und Commissario Salvo Montalbano: Sie haben als Hauptfiguren von Kriminalromanen zwei Autoren bekannt gemacht. Die in Venedig lebende Amerikanerin Donna Leon mit ihren Brunetti-Fällen und der Sizilianer Andrea Camilleri mit seinen Montalbano-Fällen führen regelmäßig die Bestseller-Listen an. Warum das so ist? Die Werke sind nicht nur gut zu lesende Krimis von literarischer Qualität, sie sind Lexika italienischer Lebensart:

L´italiano, der ItalienerGuido Brunetti aus Venedig kennt die Etikette, er hält sich an die komplizierten, weil tradierten Spielregeln der italienischen Gesellschaft - auch wenn er sie nicht immer akzeptieren will. Er weiß, dass die Farbe des Leders der Armbanduhr und der Schuhe zusammen passen muss, die Pasta zu Hause am besten schmeckt und die illegalen Anbauten an seiner Eigentumswohnung Ärger bedeuten können - aber mit viel Glück und guten Beziehungen nicht müssen. Und er würde seine Tochter eindringlich vor Typen wie Salvo Montalbano warnen. Denn der Kollege aus Vigata/Sizilien fährt zu schnell, isst mehr als ihm gut tut, pflegt zweifelhafte Freundschaften, richtet Chaos in seinem Haus an und ist einem Flirt trotz fester Freundin nicht abgeneigt.

La famiglia, die FamilieWürde der Fall eintreten, dass Montalbano über seine Bekanntschaften Rechenschaft ablegen müsste, wäre er um eine Antwort nicht verlegen. So weit seine in Norditalien lebende Freundin weg ist, ist auch der Gedanke, eine Familie mit ihr zu gründen. Montalbano ist sich selbst Ratgeber, und hätte er wie Brunetti eine so kluge Gattin und zwei im Großen und Ganzen unkomplizierte Kinder zur Seite, würde er zumindest behaupten, dass er das Leben dennoch am liebsten mit sich selbst ausmacht.

Mangiare, essenMüsste Montalbano pünktlich zum Essen zu Hause sein, würde er sich wohl einen einsamen Platz auf der Terrasse suchen. Er schätzt Gesellschaft beim Essen wenig. Es ist ihm heiliges Ritual, eine Nachrichtenbörse zwischen Vor- und Hauptspeise oder ein Diskussionsforum zum Nachtisch, wie es Gewohnheit der Brunettis ist, wäre für Montalbano unvorstellbar. Seine Mittagspause ist viel zu kurz, all die regionalen Spezialitäten zu genießen - sein Lieblingsgericht sind Triglie (Meerbarben) in allen Variationen, die Pause dauert Stunden. Für ein üppiges Abendessen oder Mitternachtsmahl, findet er im Kühlschrank stets von seiner Haushälterin vorbereitete Köstlichkeiten, die die Übersetzerin der Camilleri-Werke, Christiane von Bechtolsheim, im Anhang ausführlich beschreibt.

Conoscenze, BeziehungenBrunetti nutzt sie, Montalbano auch. Doch während dem Venezianer seine guten Kontakte zu Gesellschaft und Politik durch seinen adligen Schwiegervater meist unangenehm sind, pflegt der Sizilianer die seinen mit Hingabe. Es sind die kleinen Ganoven, die ihm einen Gefallen schuldig sind. Es ist der Reporter eines lokalen Fernsehsenders, der für einen guten Tipp gerne etwas genauer recherchiert. Brunetti hingegen kann sich stets auf seine Sekretärin verlassen. Sie ist es, die sich bei der Informationsbeschaffung oftmals in einer Grauzone bewegt, ihre Herkunft, ihre Kontakte sind ein Rätsel, das ihr Chef noch nicht gelöst hat. Die Kommissare eint ihr Misstrauen gegenüber Karrieristen und Paragrafenreitern, beide halten wenig von ihren Vorgesetzten - und der Erfolg, mit ihren ganz eigenen Methoden die Fälle zu lösen, gibt ihnen Recht.

Il mare, das MeerBrunetti fährt mit dem Polizeiboot über das Meer, Montalbano schwimmt darin. Ist in Venedig das Wasser oft Bedrohung, ist es in Sizilien Lebensgefühl. Montalbano kühlt im Meer sein Mütchen und kann am Strand besser nachdenken, als am Schreibtisch. Er rennt durch den Sand, versucht dabei zu verarbeiten, täglich mit Verbrechen konfrontiert zu sein. Vielleicht liegt auch deshalb sein Haus direkt am Meer, das ihm wie Brunetti Mittel zum Zweck ist: Der Sizilianer reagiert sich darin ab, der Venezianer nutzt das Wasser als Straße, auf der er sich fortbewegt, um seine Arbeit zu tun.

L´Italia, ItalienDie Kommissare wissen um den Charme ihres Landes, leben mit dem kulturellen Erbe. Ihr Alltag ist bestimmt von der Konfrontation mit dem römischen Zentralismus, den mafiösen Parallelstrukturen, vor allem aber von menschlichen Katastrophen. Sie im wahrsten Sinne des Wortes ganz unterschiedlich zu verarbeiten, darauf kommt es an in den Geschichten von Donna Leon und Andrea Camilleri.





Last modified Saturday, July, 16, 2011